Mittwoch, 4. Mai 2011

Der freie Wille - Teil 2

Ich habe mir heute noch einmal Gedanken gemacht zu dem Thema "Freier Wille" und mir genauer die Schnittstelle zwischen dem feinsten Aspekt des Ego und dem Absoluten angeschaut.

Die Idee eines freien Willens kann nur existieren, wenn man davon ausgeht, dass es eine innere Instanz gibt, die unabhängig vom Absoluten wahrnehmen, entscheiden und handeln kann.

Der Erleuchtete weiß, dass das eine Illusion ist und trotzdem gibt es einen freien Willen.

Der Nicht-Erleuchtete unterliegt in der Regel der Illusion, dass er selbst alles im Griff hat und Herr seiner Welt ist, was richtig und verständlich ist, weil das ein wichtiger Schritt in der Entwicklung zum Individuum ist.

Ein Erleuchteter hat diese Möglichkeit der Selbsttäuschung abgelegt, sodass sich die Frage stellt, inwieweit er dann noch einen freien Willen hat, wenn da keine individuelle Instanz mehr ist. Sie ist ja vollständig im Nichts aufgegangen, im Absoluten verschwunden.

Diesen Punkt habe ich mir genauer angeschaut von einem individuellem Standpunkt in meinem Inneren aus. Diese individuelle Instanz in mir ist so vollständig durchdrungen vom Absoluten, sie ist so eingetaucht in das, was das Absolute ist, dass es sich mit Freude dem hingegeben hat. Es hat quasi keine Chance mehr gegen den Ansturm des Absoluten, und gilt mir deshalb nicht mehr als ein Maßstab aller Dinge. Trotzdem kann ich von dort aus schauen und sehe, dass der Nicht-Erleuchtete sich als deutlich wahrnehmbare Instanz in einem Universum fühlt, dem er sich mehr oder wenig verbunden und zugehörig fühlt. Da er von diesem subjektiv individuellen Standpunkt aus alles betrachtet, untersucht und beurteilt, kann er nur zu dem Schluss kommen, dass er, als Wahrnehmender, der Mittelpunkt seines Universums ist. Etwas Größeres, Allumfassenderes ist für ihn eine Hypothese und letztendlich eine Gefahr für sein Weltbild.

Dann wäre Erleuchtung einfach der Zustand, wo ich mich als Mensch völlig eins mit Allem fühle und bin, und Nicht-Erleuchtung der, wo ich mich vollständig isoliert und nur mit mir selbst eins fühle, ich also isoliert bin vom Allem.

Das scheint mir der heutige Zustand des Menschen zu sein.

Inwieweit habe ich als Erleuchteter noch einen freien Willen, wenn ich meine Individualität vollständig dem Absoluten geopfert habe? Inwieweit kann ich mich dann noch als individueller Mensch wahrnehmen? Gibt es da noch eine innere Instanz, die für sich selbst entscheiden kann, oder wird das dann alles von etwas Größerem "gesteuert"?

Meine Erfahrung ist, dass nicht nur "Ich", sondern alles von diesem "Größeren" durchdrungen ist. Dieses Durchdrungen-Sein aber keine Steuerung im Detail ist, sondern eher eine existentielle Voraussetzung, eine Bedingung meiner Existenz, die aber auf alle meine Entscheidungen einen Einfluss hat. Und ja, ich kann mich in diese Sichtweise des Individuellen hineinversetzen wie ein Schauspieler in eine Rolle und bis zu einem gewissen Grad darin leben, denken, fühlen. Das Bewusstsein, dass das nur ein Spiel ist, geht aber nicht verloren. Unter keinen Umständen!

Dieses absolute SEIN ist so sehr Bewusstsein und alle Formen und Erscheinungen sind so sehr Ausdruck dieses reinen, absoluten Bewusstseins, dass die Frage des freien Willens einen anderen Stellenwert hat, als wenn die Ursache meiner Existenz ein chaotisches, irgendwie zufällig entstandenes, im freien Raum schwebendes, von mir mehr oder weniger unabhängiges Universum ist.

In dem einen Fall ergibt sich meine Existenz aus einem intelligenten Schöpfungs-Akt im Rahmen eines kreativen, reinen Bewusstseinsprozesses, im anderen bin ich das Produkt einer ewig langen zufälligen Evolution. Die Idee, dass diese Evolution sich nur innerhalb des Raumes des reinen absoluten Bewusstseins abspielt, gäbe es dann nicht.

Erleuchtung ist die Rückkehr, die Einkehr, die Anknüpfung an genau diesen größeren Bezugsrahmen. Wir erkennen, dass nicht nur wir selbst, sondern das ganze Universum mit seiner ewigen Evolution nur Ausdruck dieses reinen, absoluten Bewusstseins ist.

Ich bin ein Ausdruck dieses "Größeren" - ich bin DAS

Es gibt tatsächlich etwas, dass "über" mir steht, etwas, dass größer ist als "ich".

Da dies in jedem von uns Realität ist, kann jeder Mensch diesen Wunsch in sich spüren, wenn er still ist - in der wirklichen STILLE.

Wenn diese Erkenntnis nicht nur intellektuell ist, also eine freie Entscheidung ist, oder ein Glaube, also eine subjektive Erfahrung, sondern ein neuer Bewusst/Seinszustand wird, dann ist der Schritt in eine andere, neue Freiheit getan. Dann ist der erste große Schritt zur Erleuchtung getan.

Dann ist der Nachweis erbracht, dass Erleuchtung wirklich Realität ist und nicht nur ein irgendwie gearteter Glaubens- oder Wissens-Zustand.

Dieser Seins-Zustand geht mit vielen Veränderungen meines Lebens einher, und ist mehr als nur ein neuer Erkenntnis-Zustand.

Es gibt einen freien Willen. Ich kann mich in jedem Moment des Lebens für den größeren Bezugsrahmen entscheiden und ihn ganz praktisch erfahren, und mein Leben durch die dadurch eintretenden Entwicklungen komplett ändern. Das sehe ich als den wirklichen menschlichen freien Willen.